Gründebatte
Nachdem ich meinen "Kommentar der Anderen" im STANDARD von heute um mehr als die Hälfte zusammenkürzen musste, hier die Vollversion. Es geht nämlich in erster Linie um die notwendige inhaltliche Aufstellung. Die Personalia sind zweitrangig. In der Kurzfassung musste ich sämtliche Inhalte streichen, weil die - laut STANDARD - eh niemanden interessieren....
Wo Voggenhuber irrt
Johannes Voggenhuber war ein verdienstvoller Grünpolitiker und hat sich weit über die Parteigrenzen hinweg Respekt verschafft. Seine Leistungen als Europapolitiker sind unumstritten, ganz im Gegensatz zu seinem unwürdigen Abgang. Daniel Cohn-Bendit, großer grüner Wahlsieger in Frankreich, hat übrigens dazu gemeint: Voggenhuber habe zwar „einen unmöglichen Charakter“, sei aber „ein fast unverzichtbares Mitglied der europäischen Grünen.“ „Die Verantwortung für diese Fehlentscheidung lastet auf mehreren Schultern und nicht nur auf denen der österreichischen Grünen.“ Ich finde, Daniel Cohn-Bendit weiß, wovon er spricht.
Voggenhubers immer wiederkehrende gleichlautende Kritik an der Partei - „hermetische Führungsclique, die Machterhalt betreibt“ – stellt sich bei näherem Hinsehen allerdings eher wie eine Legendenbildung dar:
Von der von ihm seit Jahren gescholtenen „Führungsclique“ sind genau noch zwei Personen übrig, nämlich Eva Glawischnig und sein Freund Peter Pilz. Alexander Van der Bellen (Bundessprecher): zurückgetreten. Madeleine Petrovic (stellvertretende Bundessprecherin): nicht mehr kandidiert. Michaela Sburny (Bundesgeschäftsführerin): abgelöst. Lothar Lockl (Kommunikationschef): ausgeschieden.
Ergo: nahezu die gesamte Führungsriege ausgetauscht. Eva Glawischnig ist seit fünfzehn Monaten Bundessprecherin, Stefan Wallner seit fünf Monaten Bundesgeschäftsführer, Werner Kogler seit einem knappen Jahr stellvertretender Bundessprecher.
Dass sich ein paar Dinge bei den Grünen ändern müssen ist dieser Führung so klar wie die Tatsache, dass sich das nicht von heute auf morgen bewerkstelligen lässt. Es ist das Recht von Johannes Voggenhuber, sich nicht mehr dafür interessieren zu müssen, was alles an Reformen und Erneuerungen bereits eingeleitet ist. Bevor er aber den Stab über Eva Glawischnig bricht, die den Übergang von der 11-jährigen „Van-der-Bellen-Ära“ in eine neue Zeit schaffen muss, sei zumindest eines für sie reklamiert: eine faire Chance, sich zu beweisen. Soviel dazu.
Viel wesentlicher als irgendwelche Personalia sind die Ziele, auf die sich die Grünen konzentrieren müssen: Demokratie, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Umwelt.
Wenn Regierungsspitzen innerhalb einer Nacht unter Ausschaltung und späterer Nötigung der Parlamente milliardenschwere „Rettungspakete“ schnüren, ohne jede Auflage für die außer Rand und Band geratenen Märkte, um dann nach Hause zu kommen und der Bevölkerung die Rechnung in Form von „Sparpaketen“ zu präsentieren, dann ist die Demokratie in Gefahr, oder wie es Heribert Prantl unlängst in der „Süddeutschen“ formuliert hat: „Wenn die Parlamente zur Kläranlage für die Fäkalien der Finanzmärkte verkommen, muss Demokratiealarm ausgerufen werden!“
Wenn eine Bundesregierung unter tatkräftiger Anleitung eines Brandstifters den Biedermann gibt und vom Asylrecht bis zum Fremdenrecht mehr oder weniger offen die Menschenrechte in Frage stellt, dann muss es zumindest eine Partei geben, die den Akteuren in den Arm fällt. Dafür stehen nur die Grünen. Was es aber gleichzeitig braucht, sind offene Augen für die Orte gescheiterter, weil jahrzehntelang versäumter Integrationspolitik – bei Bildung, Wohnen und Arbeitsmarkt und die daraus resultierenden Verstörungen auf beiden Seiten. Dafür stehen die Grünen noch zuwenig.
Wenn die österreichische Bundesregierung mit der Griechenlandkeule im Rucksack durch das Land zieht und „Alle müssen sparen!“ skandiert, aber nicht laut dazu sagt, dass sechzig Prozent der geplanten Kürzungen die Bereiche Jugend, Familie, Pensionen, Arbeitsmarkt und Soziales betrifft und somit den Sozialstaat nicht reformiert, sondern demoliert, dann ist es der Job der Grünen dagegen auf die Barrikaden zu steigen, besonders, wenn der Klubobmann der ÖVP im Parlament sich gleichzeitig mit schneidender Arroganz dazu versteigt, eine gerechte Vermögensbesteuerung als „unerwünschten Beitrag zur Radikalisierung“ zu brandmarken.
(Anstatt sich, zum Beispiel, seiner jede Bildungsreform verhindernden Beamtengewerkschaft anzunehmen!)
Und schließlich das Um und Auf unseres Daseins: Die Erhaltung der Lebensgrundlagen, der Ausstieg aus Öl und Gas, die Bändigung der Weltklimakrise, letztlich die Beendigung des Irrglaubens, Wachstum lasse sich endlos fortsetzen obwohl die Ressourcen endlich sind. Zwar derzeit medial nicht so sexy wie die Euro-Krise, wahr ist es dennoch, dass die Grünen die einzigen sind, die von der letzten Gemeindestube bis zum Europäischen Parlament die Knochenarbeit dafür leisten, dass irgendwann auch Österreich kapiert, dass die neuen Jobs grün sind und nicht auf den Finanzmärkten wachsen.
Ja, es stimmt, wir Grüne müssen wieder klar machen, dass wir genau dafür mit Nachdruck kämpfen. Dass wir keine fertigen Lösungen anzubieten haben, aber eine kraftvolle Vision. Dass wir sicher nicht alles besser wissen, aber leidenschaftlich für unsere Ideen streiten. Dass nicht Angstmacherei unser Geschäft ist, sondern der mutige Schritt nach vorne.
Was uns dabei klar ist: ohne das Engagement von tausenden, ehrenamtlich in ihrer Freizeit tätigen grünen Aktivistinnen und Aktivisten in Ländern, Gemeinden, Umweltgruppen, Frauennetzwerken oder Integrationsbeiräten wird aus der Programmatik keine Wirklichkeit.
Das ist die mühsame Kleinarbeit in der politischen Tiefebene, oft unbemerkt, meist unbedankt. (Danke!) Eine „Schwäche in der Fläche“ kann sich keine Partei leisten. Siehe Liberales Forum oder wohl auch BZÖ.
Das ist der Grund, warum es die Grünen als einzige neue Partei nach 1945 geschafft haben, sich dauerhaft zu etablieren - und europaweit zu den stärksten Grünbewegungen zu gehören. Ganz sicher kein Grund zur Selbstzufriedenheit, sondern einer, die Ärmel hochzukrempeln. Oder, am Vorabend der Fußball-WM: Wer gerade ein Spiel 0:1 verloren und zwei entscheidende vor sich hat, muss sich auf die Grundtugenden besinnen: Intelligent kämpfen, überzeugen und gemeinsam einen weiteren Schritt vorankommen. Genau das ist unser Job.
Wo Voggenhuber irrt
Johannes Voggenhuber war ein verdienstvoller Grünpolitiker und hat sich weit über die Parteigrenzen hinweg Respekt verschafft. Seine Leistungen als Europapolitiker sind unumstritten, ganz im Gegensatz zu seinem unwürdigen Abgang. Daniel Cohn-Bendit, großer grüner Wahlsieger in Frankreich, hat übrigens dazu gemeint: Voggenhuber habe zwar „einen unmöglichen Charakter“, sei aber „ein fast unverzichtbares Mitglied der europäischen Grünen.“ „Die Verantwortung für diese Fehlentscheidung lastet auf mehreren Schultern und nicht nur auf denen der österreichischen Grünen.“ Ich finde, Daniel Cohn-Bendit weiß, wovon er spricht.
Voggenhubers immer wiederkehrende gleichlautende Kritik an der Partei - „hermetische Führungsclique, die Machterhalt betreibt“ – stellt sich bei näherem Hinsehen allerdings eher wie eine Legendenbildung dar:
Von der von ihm seit Jahren gescholtenen „Führungsclique“ sind genau noch zwei Personen übrig, nämlich Eva Glawischnig und sein Freund Peter Pilz. Alexander Van der Bellen (Bundessprecher): zurückgetreten. Madeleine Petrovic (stellvertretende Bundessprecherin): nicht mehr kandidiert. Michaela Sburny (Bundesgeschäftsführerin): abgelöst. Lothar Lockl (Kommunikationschef): ausgeschieden.
Ergo: nahezu die gesamte Führungsriege ausgetauscht. Eva Glawischnig ist seit fünfzehn Monaten Bundessprecherin, Stefan Wallner seit fünf Monaten Bundesgeschäftsführer, Werner Kogler seit einem knappen Jahr stellvertretender Bundessprecher.
Dass sich ein paar Dinge bei den Grünen ändern müssen ist dieser Führung so klar wie die Tatsache, dass sich das nicht von heute auf morgen bewerkstelligen lässt. Es ist das Recht von Johannes Voggenhuber, sich nicht mehr dafür interessieren zu müssen, was alles an Reformen und Erneuerungen bereits eingeleitet ist. Bevor er aber den Stab über Eva Glawischnig bricht, die den Übergang von der 11-jährigen „Van-der-Bellen-Ära“ in eine neue Zeit schaffen muss, sei zumindest eines für sie reklamiert: eine faire Chance, sich zu beweisen. Soviel dazu.
Viel wesentlicher als irgendwelche Personalia sind die Ziele, auf die sich die Grünen konzentrieren müssen: Demokratie, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Umwelt.
Wenn Regierungsspitzen innerhalb einer Nacht unter Ausschaltung und späterer Nötigung der Parlamente milliardenschwere „Rettungspakete“ schnüren, ohne jede Auflage für die außer Rand und Band geratenen Märkte, um dann nach Hause zu kommen und der Bevölkerung die Rechnung in Form von „Sparpaketen“ zu präsentieren, dann ist die Demokratie in Gefahr, oder wie es Heribert Prantl unlängst in der „Süddeutschen“ formuliert hat: „Wenn die Parlamente zur Kläranlage für die Fäkalien der Finanzmärkte verkommen, muss Demokratiealarm ausgerufen werden!“
Wenn eine Bundesregierung unter tatkräftiger Anleitung eines Brandstifters den Biedermann gibt und vom Asylrecht bis zum Fremdenrecht mehr oder weniger offen die Menschenrechte in Frage stellt, dann muss es zumindest eine Partei geben, die den Akteuren in den Arm fällt. Dafür stehen nur die Grünen. Was es aber gleichzeitig braucht, sind offene Augen für die Orte gescheiterter, weil jahrzehntelang versäumter Integrationspolitik – bei Bildung, Wohnen und Arbeitsmarkt und die daraus resultierenden Verstörungen auf beiden Seiten. Dafür stehen die Grünen noch zuwenig.
Wenn die österreichische Bundesregierung mit der Griechenlandkeule im Rucksack durch das Land zieht und „Alle müssen sparen!“ skandiert, aber nicht laut dazu sagt, dass sechzig Prozent der geplanten Kürzungen die Bereiche Jugend, Familie, Pensionen, Arbeitsmarkt und Soziales betrifft und somit den Sozialstaat nicht reformiert, sondern demoliert, dann ist es der Job der Grünen dagegen auf die Barrikaden zu steigen, besonders, wenn der Klubobmann der ÖVP im Parlament sich gleichzeitig mit schneidender Arroganz dazu versteigt, eine gerechte Vermögensbesteuerung als „unerwünschten Beitrag zur Radikalisierung“ zu brandmarken.
(Anstatt sich, zum Beispiel, seiner jede Bildungsreform verhindernden Beamtengewerkschaft anzunehmen!)
Und schließlich das Um und Auf unseres Daseins: Die Erhaltung der Lebensgrundlagen, der Ausstieg aus Öl und Gas, die Bändigung der Weltklimakrise, letztlich die Beendigung des Irrglaubens, Wachstum lasse sich endlos fortsetzen obwohl die Ressourcen endlich sind. Zwar derzeit medial nicht so sexy wie die Euro-Krise, wahr ist es dennoch, dass die Grünen die einzigen sind, die von der letzten Gemeindestube bis zum Europäischen Parlament die Knochenarbeit dafür leisten, dass irgendwann auch Österreich kapiert, dass die neuen Jobs grün sind und nicht auf den Finanzmärkten wachsen.
Ja, es stimmt, wir Grüne müssen wieder klar machen, dass wir genau dafür mit Nachdruck kämpfen. Dass wir keine fertigen Lösungen anzubieten haben, aber eine kraftvolle Vision. Dass wir sicher nicht alles besser wissen, aber leidenschaftlich für unsere Ideen streiten. Dass nicht Angstmacherei unser Geschäft ist, sondern der mutige Schritt nach vorne.
Was uns dabei klar ist: ohne das Engagement von tausenden, ehrenamtlich in ihrer Freizeit tätigen grünen Aktivistinnen und Aktivisten in Ländern, Gemeinden, Umweltgruppen, Frauennetzwerken oder Integrationsbeiräten wird aus der Programmatik keine Wirklichkeit.
Das ist die mühsame Kleinarbeit in der politischen Tiefebene, oft unbemerkt, meist unbedankt. (Danke!) Eine „Schwäche in der Fläche“ kann sich keine Partei leisten. Siehe Liberales Forum oder wohl auch BZÖ.
Das ist der Grund, warum es die Grünen als einzige neue Partei nach 1945 geschafft haben, sich dauerhaft zu etablieren - und europaweit zu den stärksten Grünbewegungen zu gehören. Ganz sicher kein Grund zur Selbstzufriedenheit, sondern einer, die Ärmel hochzukrempeln. Oder, am Vorabend der Fußball-WM: Wer gerade ein Spiel 0:1 verloren und zwei entscheidende vor sich hat, muss sich auf die Grundtugenden besinnen: Intelligent kämpfen, überzeugen und gemeinsam einen weiteren Schritt vorankommen. Genau das ist unser Job.
rauch - 11. Jun, 10:15