Einfach: ja! Einfältig: nein!
Komplizierte Sachverhalte müssen vereinfacht werden, um sie nachvollziehbar zu machen. Gut so.
Wird allerdings die Schwelle zur Vereinfachung unterschritten, landet man bei der Einfalt. Schlecht, aber offenber nicht zu vermeiden. Die Vorarlberger FPÖ, zum Beispiel, behauptet, an der Teuerung seien Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel und Mineralölsteuer schuld, also müssten beide Steuern gesenkt werden. Meine Entgegnung gestern im Landtag:
Die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel wie Getreide, Speiseöl und Milch sind seit 2000 kontinuierlich gestiegen. Aber seit die Finanzkrise sich 2006 in den USA ausgeweitet hat, steigen sie dramatisch: Reis wurde seit Anfang 2006 um 217 Prozent teuerer, Weizen um 136 Prozent, Mais um 125 Prozent und Sojabohnen um 107 Prozent. Und der Grund dafür ist nicht die Mehrwertsteuer in Österreich, sondern die Tatsache, dass aufgrund der amerikanischen Kreditkrise Spekulanten und Hedge Fonds ihre Investitionen immer stärker aus hochriskanten Wertpapieren in Gold und Öl sowie in Mais, Weizen und andere Agrarrohstoffe verlagert haben. Oder präziser formuliert: Die Gier von Großinvestoren und Spekulanten treibt die Preise in astronomische Höhen. In einem Artikel der britischen Zeitschrift New Statesman heißt es dazu: „Genau wie der Boom bei den Immobilienpreisen, nährt sich die Warenpreisinflation selbst. Je mehr die Preise steigen und hohe Profite gemacht werden, desto mehr investieren auch andere, in der Hoffnung auf hohe Gewinne. Das Problem ist nur, wenn Sie zu den 2,8 Milliarden Menschen zählen, die mit zwei Dollar am Tag oder weniger auskommen müssen, bezahlen Sie vielleicht mit ihrem Leben für diese Profite!“
Wie dieses perverse Spiel funktioniert hat ABN Amro, ein Gigant am Finanzmarkt vorgezeigt:
Zuerst erwarb Amro ein einzigartiges Zertifikat, das es der Firma erlaubte, im Namen kleinerer Investoren an der Chicagoer Warenterminbörse zu spekulieren. Kurz darauf wurde ein Prospekt aufgelegt, in dem darauf hingewiesen wurde, dass Indien jetzt einen Ausfuhrstopp für Reis verhängt habe, was zusammen mit Missernten in mehreren Ländern zu einer Verknappung bei Reis geführt habe, um dann zu werben: „Jetzt ist es zum ersten Mal möglich, einen Anteil am Lebensmittel Nummer eins in Asien zu erwerben!“
ABN Amro konnte innerhalb von drei Wochen eine Profitrate von 20% realisieren. In dieser Zeit gab es – natürlich zufällig – in Chicago und anderen großen Zentren einen riesigen Anstieg der Investitionen an Reis….
Dass man mit Agrarrohstoffen schnelles Geld machen kann, hat sich sogar bis zu uns in die Provinz herumgesprochen: so hat die Sparkasse in einem Inserat am 1. März in Vorarlberger Tageszeitungen den „Wertpapierfrühling 2008“ verkündet und die Veranlagung in Rohstoffe als Alternative zur Subprimekrise beworben. Zitat: „Seit der Jahrtausendwende geht es mit den Rohstoffpreisen steil nach oben. Nützen Sie diesen Mega-Trend für Ihre persönliche Anlagestrategie!“ – Bild mit schönem Weizenfeld inklusive….
Die Gemeinschaft der Gläubigen an den alles regelnden und ausgleichenden Markt behauptet ja, dass dieser ausschließlich rationalen Kriterien wie Angebot und Nachfrage folge und so den Preis reguliere und damit alles in einer schönen Balance halte. In Wahrheit, so scheint mir, regieren dort, wo vermeintlich ökonomische Rationalität zuhause ist, zwei vollkommen unberechenbare Emotionen:Angst und Gier. Angst vor Verlusten und schrankenlose Gier nach Profit. Es ist kein System der Vernunft, das die Finanzmärkte dominiert, sondern der blanke Irrsinn.
Die zweite Ursache für die Inflationsspirale sind die Agrotreibstoffe.
Die Investments in den Biotreibstoffsektor sind von 5 Milliarden USD in 1995 auf 38 Milliarden USD in 2005 gestiegen. Amerikanische Farmer haben 30% ihres Maisanbaues auf die Produktion von Ethanol umgestellt. Und – letzte Zahl: Ein Mensch kann 365 Tage mit jener Getreidemenge ernährt werden, die ein SUV für eine Tankfüllung Ethanol-Sprit braucht.
Der Rückgang der Produktion von Getreide als Nahrungsmittel trägt nicht nur dazu bei, dass die Preise für Grundbedarfsgüter rasch ansteigen, sie führt auch dazu, dass die Nahrungspreise parallel zum Ölpreis entwickeln. Josette Sheeran vom Welternährungsprogramm sagt: „In vielen Teilen der Welt bewegen sich die Nahrungspreise in Richtung der Treibstoffpreise. Immer größere Mengen von Nahrungsmitteln werden von den Energiemärkten für die Produktion von Agrotreibstoffen aufgekauft.“ Anders formuliert: Statt auf dem Teller landen Nahrungsmittel im Tank.
Und wenn die Rohstoffanalysten der Deutschen Bank feststellen, „wir glauben, dass die Kursrallye in ihren Kinderschuhen steckt“ und Futures – für Dezember heurigen Jahres - mit Weizen um mindestens 75% steigen (nach den Zahlen der CHX), dann sind das für Spekulanten gute Nachrichten, für alle, die mit immer weniger Geld Nahrungsmittel kaufen müssen schlechte und für jene, die jetzt schon Hunger leiden eine Katastrophe.
Schlussfolgerungen:
- Spekulationen mit Nahrungsmitteln sind eine Perversion und keine Anlagestrategie
- Eine Finanztransaktionssteuer ist der einzige Weg, diesen Finanzmarktirrsinn einigermaßen in die Schranken zu weisen
- Agrarsubventionen, die Kleinbauern in den Entwicklungsländern aus dem Markt drängt müssen beendet werden
- Je mehr Lebensmittel aus der Region gekauft werden umso besser: dann bleibt das Geld im Land, der Anreiz zu produzieren für die Landwirtschaft steigt, weil es einen fairen Preis gibt und Milch muss nicht mehr weggeschüttet werden
- Je schneller wir unsere Abhängigkeit von Öl und Gas überwinden, umso besser werden wir in Zukunft leben
Wird allerdings die Schwelle zur Vereinfachung unterschritten, landet man bei der Einfalt. Schlecht, aber offenber nicht zu vermeiden. Die Vorarlberger FPÖ, zum Beispiel, behauptet, an der Teuerung seien Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel und Mineralölsteuer schuld, also müssten beide Steuern gesenkt werden. Meine Entgegnung gestern im Landtag:
Die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel wie Getreide, Speiseöl und Milch sind seit 2000 kontinuierlich gestiegen. Aber seit die Finanzkrise sich 2006 in den USA ausgeweitet hat, steigen sie dramatisch: Reis wurde seit Anfang 2006 um 217 Prozent teuerer, Weizen um 136 Prozent, Mais um 125 Prozent und Sojabohnen um 107 Prozent. Und der Grund dafür ist nicht die Mehrwertsteuer in Österreich, sondern die Tatsache, dass aufgrund der amerikanischen Kreditkrise Spekulanten und Hedge Fonds ihre Investitionen immer stärker aus hochriskanten Wertpapieren in Gold und Öl sowie in Mais, Weizen und andere Agrarrohstoffe verlagert haben. Oder präziser formuliert: Die Gier von Großinvestoren und Spekulanten treibt die Preise in astronomische Höhen. In einem Artikel der britischen Zeitschrift New Statesman heißt es dazu: „Genau wie der Boom bei den Immobilienpreisen, nährt sich die Warenpreisinflation selbst. Je mehr die Preise steigen und hohe Profite gemacht werden, desto mehr investieren auch andere, in der Hoffnung auf hohe Gewinne. Das Problem ist nur, wenn Sie zu den 2,8 Milliarden Menschen zählen, die mit zwei Dollar am Tag oder weniger auskommen müssen, bezahlen Sie vielleicht mit ihrem Leben für diese Profite!“
Wie dieses perverse Spiel funktioniert hat ABN Amro, ein Gigant am Finanzmarkt vorgezeigt:
Zuerst erwarb Amro ein einzigartiges Zertifikat, das es der Firma erlaubte, im Namen kleinerer Investoren an der Chicagoer Warenterminbörse zu spekulieren. Kurz darauf wurde ein Prospekt aufgelegt, in dem darauf hingewiesen wurde, dass Indien jetzt einen Ausfuhrstopp für Reis verhängt habe, was zusammen mit Missernten in mehreren Ländern zu einer Verknappung bei Reis geführt habe, um dann zu werben: „Jetzt ist es zum ersten Mal möglich, einen Anteil am Lebensmittel Nummer eins in Asien zu erwerben!“
ABN Amro konnte innerhalb von drei Wochen eine Profitrate von 20% realisieren. In dieser Zeit gab es – natürlich zufällig – in Chicago und anderen großen Zentren einen riesigen Anstieg der Investitionen an Reis….
Dass man mit Agrarrohstoffen schnelles Geld machen kann, hat sich sogar bis zu uns in die Provinz herumgesprochen: so hat die Sparkasse in einem Inserat am 1. März in Vorarlberger Tageszeitungen den „Wertpapierfrühling 2008“ verkündet und die Veranlagung in Rohstoffe als Alternative zur Subprimekrise beworben. Zitat: „Seit der Jahrtausendwende geht es mit den Rohstoffpreisen steil nach oben. Nützen Sie diesen Mega-Trend für Ihre persönliche Anlagestrategie!“ – Bild mit schönem Weizenfeld inklusive….
Die Gemeinschaft der Gläubigen an den alles regelnden und ausgleichenden Markt behauptet ja, dass dieser ausschließlich rationalen Kriterien wie Angebot und Nachfrage folge und so den Preis reguliere und damit alles in einer schönen Balance halte. In Wahrheit, so scheint mir, regieren dort, wo vermeintlich ökonomische Rationalität zuhause ist, zwei vollkommen unberechenbare Emotionen:Angst und Gier. Angst vor Verlusten und schrankenlose Gier nach Profit. Es ist kein System der Vernunft, das die Finanzmärkte dominiert, sondern der blanke Irrsinn.
Die zweite Ursache für die Inflationsspirale sind die Agrotreibstoffe.
Die Investments in den Biotreibstoffsektor sind von 5 Milliarden USD in 1995 auf 38 Milliarden USD in 2005 gestiegen. Amerikanische Farmer haben 30% ihres Maisanbaues auf die Produktion von Ethanol umgestellt. Und – letzte Zahl: Ein Mensch kann 365 Tage mit jener Getreidemenge ernährt werden, die ein SUV für eine Tankfüllung Ethanol-Sprit braucht.
Der Rückgang der Produktion von Getreide als Nahrungsmittel trägt nicht nur dazu bei, dass die Preise für Grundbedarfsgüter rasch ansteigen, sie führt auch dazu, dass die Nahrungspreise parallel zum Ölpreis entwickeln. Josette Sheeran vom Welternährungsprogramm sagt: „In vielen Teilen der Welt bewegen sich die Nahrungspreise in Richtung der Treibstoffpreise. Immer größere Mengen von Nahrungsmitteln werden von den Energiemärkten für die Produktion von Agrotreibstoffen aufgekauft.“ Anders formuliert: Statt auf dem Teller landen Nahrungsmittel im Tank.
Und wenn die Rohstoffanalysten der Deutschen Bank feststellen, „wir glauben, dass die Kursrallye in ihren Kinderschuhen steckt“ und Futures – für Dezember heurigen Jahres - mit Weizen um mindestens 75% steigen (nach den Zahlen der CHX), dann sind das für Spekulanten gute Nachrichten, für alle, die mit immer weniger Geld Nahrungsmittel kaufen müssen schlechte und für jene, die jetzt schon Hunger leiden eine Katastrophe.
Schlussfolgerungen:
- Spekulationen mit Nahrungsmitteln sind eine Perversion und keine Anlagestrategie
- Eine Finanztransaktionssteuer ist der einzige Weg, diesen Finanzmarktirrsinn einigermaßen in die Schranken zu weisen
- Agrarsubventionen, die Kleinbauern in den Entwicklungsländern aus dem Markt drängt müssen beendet werden
- Je mehr Lebensmittel aus der Region gekauft werden umso besser: dann bleibt das Geld im Land, der Anreiz zu produzieren für die Landwirtschaft steigt, weil es einen fairen Preis gibt und Milch muss nicht mehr weggeschüttet werden
- Je schneller wir unsere Abhängigkeit von Öl und Gas überwinden, umso besser werden wir in Zukunft leben
rauch - 5. Jun, 12:45
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