Jugendwohlfahrt: verzögern, vertagen, aussitzen...
Jugendwohlfahrt in Turbulenzen
Die Jugendwohlfahrt in Vorarlberg steht seit längerem in Diskussion. Begonnen mit dem Bericht des Landesrechnungshofes im Jahres 2009, über den tragischen „Fall Cain“ bis zum jüngst bekannt gewordenen Inzestfall.
Mindestens so lang, wie offenkundig ist, dass zu wenige MitarbeiterInnen zu viele Fälle – zunehmend schwierige Fälle – betreuen müssen, dauern die Versprechungen und Vertröstungen aus den Reihen der ÖVP, demnächst werde alles besser. Symptomatisch sei folgendes Zitat aus der Landtagssitzung vom 18.11.2009 (Debatte des RH-Berichtes Jugendwohlfahrt im Landtag) angeführt:
„Wenn die vereinte Opposition sich im Anschluss gleich auf die Personalsituation in den BH's, Abteilung Jugendwohlfahrt, einschießen wird, möchte ich vorher noch ein paar Dinge klarstellen: Erstens, die vielseitigen Problemstellungen, die in den letzten Jahren auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendwohlfahrt eingeströmt sind, bedingen eine umfassende Organisations- und Personalentwicklung. Dieser Prozess wurde im Frühjahr dieses Jahres gestartet und soll im nächsten Frühjahr abgeschlossen werden. Zweitens, es wird auf Bundesebene ein neues "Bundesgesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche", so der sperrige Titel, kurz gefasst das "Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz", erarbeitet, das in wesentlichen Bereichen völlig neue Voraussetzungen schaffen wird. Ich nenne nur das so genannte Vier-Augen-Prinzip, das sicher richtig ist, sich aber natürlich auch auf die Personalsituation auswirken wird. Meine bescheidene Bitte ist nun, die wenigen Monate bis zur Klärung dieser beiden wichtigen Weichenstellungen abzuwarten, besonders vor dem Hintergrund, dass ohnehin eine Aufstockung in den Jugendwohlfahrtsbehörden für das kommende Jahr vorgesehen ist.“
(Landtagsvizepräsidentein Gabriele Nußbaumer, Sozialsprecherin der ÖVP)
Die Zwischenbilanz, eineinhalb Jahre später schaut so aus:
- die „umfassende Organisations- und Personalentwicklung“ ist bis heute nicht abgeschlossen und dauert mittlerweile zwei Jahre
- das neue Bundesgesetz zur Jugendwohlfahrt ist bis heute nicht verabschiedet, gescheitert am Widerstand der Länder
- Das Vier-Augen-Prinzip ist aus diesem Grund bis heute nicht flächendeckend gewährleistet
- Die genannten Personalaufstockungen reichen gerade aus, um den Betrieb der Jugendwohlfahrt von „kompletter Überlastung“ auf „Normalbetrieb“ umzustellen und berücksichtigt nicht die stark gestiegenen Fallzahlen.
Weiterhin gilt: verzögern, aussitzen, vertagen
Bezahlung
Schon im Rechnungshofbericht wurde bestätigt, dass das vorhandene Personal sehr gute Arbeit macht, aber für die erbrachte Leistung zu wenig bezahlt bekommt.
Gerade die jüngsten Vorkommnisse aus der Jugendwohlfahrt zeigen deutlich, dass an diesen Stellen bestens aus- und fortgebildete und entsprechend angemessen bezahlte Fachkräfte eingesetzt werden müssen.
Für die schwierigsten Fälle brauchen wir die Besten!
Die SozialarbeiterInnen im öffentlichen Dienst werden trotz zusätzlicher Ausbildung an der Sozialakademie bzw. der Fachhochschule lediglich als MaturantInnen eingestuft, obwohl an sie hohe geistige Anforderungen gestellt und große Verantwortungsbereiche übertragen werden.
Der Berufsverband der Vorarlberger SozialarbeiterInnen hat diese Ungleichbehandlung gegenüber anderen Landesbediensteten in einer Petition an die Vorarlberger Landesregierung und den Landtag aufgezeigt.
Nach jahrelanger Forderung der Gleichstellung im Gehaltssystem des Landes wurde mein Antrag im März 2011 einstimmig beschlossen.
Jetzt zeigt sich, dass an eine Umsetzung erst mit 1.1.2012 gedacht ist. Man will sich also schlicht und einfach ein weiteres Jahr „einsparen“. Darüberhinaus wird schon wieder heftig um die Einstufung gestritten, die Landesregierung will die SozialarbeiterInnen der Bezirkshauptmannschaften, wenn sie schon – widerwillig!- in das Landesschema übernommen werden tiefst möglich einstufen. Nach allem, was passiert ist: schäbig!
Personalausstattung
Es war seit langem absehbar, dass die stationären und ambulanten Träger der Jugendwohlfahrt an Kapazitätsgrenzen stoßen. Die Regierung hat die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht wahrgenommen. Steigender Bedarf ist seit langem festzustellen und kann nicht mit gleich bleibenden Angeboten bewältigt werden. Engpässe und Wartelisten wären vorhersehbar gewesen. Nicht die tatsächlichen Bedürfnisse der Familien leiten das Handeln der Regierung, sondern budgetäre Vorgaben. Wenn die Fallzahlen um 20% gestiegen sind, braucht es auch eine ebensolche Aufstockung beim Fachpersonal!
Prävention und Planung: Baustelle
Die frühkindliche Präventionsarbeit in Kooperation mit den Spitälern läuft gut. Eine der größten Baustellen ist derzeit der Bereich der VolksschülerInnen. Es gibt viele Kinder, die sozial benachteiligt und unterbetreut sind, die auf der Straße stehen, wenn sie nicht aufgefangen werden können. Die beste Prävention sind ganztägige Schulen mit verschränktem Unterricht, die vor allem in den Ballungszentren ausgebaut werden müssen. Die Ganztagsschule ist eine bildungspolitische und eine sozialpolitische Notwendigkeit. Sie fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Alle Faktoren zusammen ergeben einen deutlichen volkswirtschaftlichen Vorteil.
Eine präventive Strategie gegen die soziale und sozialpsychologische Verwahrlosung muss die Stützsysteme für Familien ausbauen. Besonders wichtig – vor allem für zugewanderte Familien – ist die Elternschulung. Existierende Angebote kommen bei den Eltern, die sie brauchen, nicht wirklich an. Angebote müssen niederschwellig sein und sich stärker am lokalen Bedarf orientieren: Begegnungsräume in Eltern-kind-zentren, Early Exellence Centre oder der Spielbus von Familienempowerment.
Stärkung Kinder- und Jugendanwaltschaft: vertagt
Ein von der FPÖ eingebrachter und von Grünen und SPÖ unterstützter Antrag zur Stärkung der Kinder- und Jugendanwaltschaft wurde von der ÖVP: vertagt. Fadenscheiniges Argument: es müssen juristische Abklärungen vorgenommen werden. Hintergrund: derzeit ist die Kinder- und Jugendanwaltschaft nicht dem Landtag zugeordnet (und damit diesem gegenüber berichtspflichtig), sondern der Regierung. Was für Landesvolksanwaltschaft und Rechnungshof gilt, muss auch für die Kinder- und Jugendanwaltschaft gelten: völlige Unabhängigkeit durch Zuordnung zum Landtag, Verankerung in der Landesverfassung.
Daher die klaren Forderungen an die Landesrätin:
- sofortige Aufstockung der Planstellen, um auf die gesteigerten Fallzahlen zu reagieren
- sofortige Umsetzung der Gehaltsreform, Übernahme in den Landesdienst rückwirkend mit 1.1.2011
- Ausbau ganztägiger Angebote in Kindergärten und Schulen mit Unterstützungsangeboten für Eltern und Kinder
- Stärkung der Kinder- und Jugendanwaltschaft als Organ des Landtages
Die Jugendwohlfahrt in Vorarlberg steht seit längerem in Diskussion. Begonnen mit dem Bericht des Landesrechnungshofes im Jahres 2009, über den tragischen „Fall Cain“ bis zum jüngst bekannt gewordenen Inzestfall.
Mindestens so lang, wie offenkundig ist, dass zu wenige MitarbeiterInnen zu viele Fälle – zunehmend schwierige Fälle – betreuen müssen, dauern die Versprechungen und Vertröstungen aus den Reihen der ÖVP, demnächst werde alles besser. Symptomatisch sei folgendes Zitat aus der Landtagssitzung vom 18.11.2009 (Debatte des RH-Berichtes Jugendwohlfahrt im Landtag) angeführt:
„Wenn die vereinte Opposition sich im Anschluss gleich auf die Personalsituation in den BH's, Abteilung Jugendwohlfahrt, einschießen wird, möchte ich vorher noch ein paar Dinge klarstellen: Erstens, die vielseitigen Problemstellungen, die in den letzten Jahren auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendwohlfahrt eingeströmt sind, bedingen eine umfassende Organisations- und Personalentwicklung. Dieser Prozess wurde im Frühjahr dieses Jahres gestartet und soll im nächsten Frühjahr abgeschlossen werden. Zweitens, es wird auf Bundesebene ein neues "Bundesgesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche", so der sperrige Titel, kurz gefasst das "Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz", erarbeitet, das in wesentlichen Bereichen völlig neue Voraussetzungen schaffen wird. Ich nenne nur das so genannte Vier-Augen-Prinzip, das sicher richtig ist, sich aber natürlich auch auf die Personalsituation auswirken wird. Meine bescheidene Bitte ist nun, die wenigen Monate bis zur Klärung dieser beiden wichtigen Weichenstellungen abzuwarten, besonders vor dem Hintergrund, dass ohnehin eine Aufstockung in den Jugendwohlfahrtsbehörden für das kommende Jahr vorgesehen ist.“
(Landtagsvizepräsidentein Gabriele Nußbaumer, Sozialsprecherin der ÖVP)
Die Zwischenbilanz, eineinhalb Jahre später schaut so aus:
- die „umfassende Organisations- und Personalentwicklung“ ist bis heute nicht abgeschlossen und dauert mittlerweile zwei Jahre
- das neue Bundesgesetz zur Jugendwohlfahrt ist bis heute nicht verabschiedet, gescheitert am Widerstand der Länder
- Das Vier-Augen-Prinzip ist aus diesem Grund bis heute nicht flächendeckend gewährleistet
- Die genannten Personalaufstockungen reichen gerade aus, um den Betrieb der Jugendwohlfahrt von „kompletter Überlastung“ auf „Normalbetrieb“ umzustellen und berücksichtigt nicht die stark gestiegenen Fallzahlen.
Weiterhin gilt: verzögern, aussitzen, vertagen
Bezahlung
Schon im Rechnungshofbericht wurde bestätigt, dass das vorhandene Personal sehr gute Arbeit macht, aber für die erbrachte Leistung zu wenig bezahlt bekommt.
Gerade die jüngsten Vorkommnisse aus der Jugendwohlfahrt zeigen deutlich, dass an diesen Stellen bestens aus- und fortgebildete und entsprechend angemessen bezahlte Fachkräfte eingesetzt werden müssen.
Für die schwierigsten Fälle brauchen wir die Besten!
Die SozialarbeiterInnen im öffentlichen Dienst werden trotz zusätzlicher Ausbildung an der Sozialakademie bzw. der Fachhochschule lediglich als MaturantInnen eingestuft, obwohl an sie hohe geistige Anforderungen gestellt und große Verantwortungsbereiche übertragen werden.
Der Berufsverband der Vorarlberger SozialarbeiterInnen hat diese Ungleichbehandlung gegenüber anderen Landesbediensteten in einer Petition an die Vorarlberger Landesregierung und den Landtag aufgezeigt.
Nach jahrelanger Forderung der Gleichstellung im Gehaltssystem des Landes wurde mein Antrag im März 2011 einstimmig beschlossen.
Jetzt zeigt sich, dass an eine Umsetzung erst mit 1.1.2012 gedacht ist. Man will sich also schlicht und einfach ein weiteres Jahr „einsparen“. Darüberhinaus wird schon wieder heftig um die Einstufung gestritten, die Landesregierung will die SozialarbeiterInnen der Bezirkshauptmannschaften, wenn sie schon – widerwillig!- in das Landesschema übernommen werden tiefst möglich einstufen. Nach allem, was passiert ist: schäbig!
Personalausstattung
Es war seit langem absehbar, dass die stationären und ambulanten Träger der Jugendwohlfahrt an Kapazitätsgrenzen stoßen. Die Regierung hat die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht wahrgenommen. Steigender Bedarf ist seit langem festzustellen und kann nicht mit gleich bleibenden Angeboten bewältigt werden. Engpässe und Wartelisten wären vorhersehbar gewesen. Nicht die tatsächlichen Bedürfnisse der Familien leiten das Handeln der Regierung, sondern budgetäre Vorgaben. Wenn die Fallzahlen um 20% gestiegen sind, braucht es auch eine ebensolche Aufstockung beim Fachpersonal!
Prävention und Planung: Baustelle
Die frühkindliche Präventionsarbeit in Kooperation mit den Spitälern läuft gut. Eine der größten Baustellen ist derzeit der Bereich der VolksschülerInnen. Es gibt viele Kinder, die sozial benachteiligt und unterbetreut sind, die auf der Straße stehen, wenn sie nicht aufgefangen werden können. Die beste Prävention sind ganztägige Schulen mit verschränktem Unterricht, die vor allem in den Ballungszentren ausgebaut werden müssen. Die Ganztagsschule ist eine bildungspolitische und eine sozialpolitische Notwendigkeit. Sie fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Alle Faktoren zusammen ergeben einen deutlichen volkswirtschaftlichen Vorteil.
Eine präventive Strategie gegen die soziale und sozialpsychologische Verwahrlosung muss die Stützsysteme für Familien ausbauen. Besonders wichtig – vor allem für zugewanderte Familien – ist die Elternschulung. Existierende Angebote kommen bei den Eltern, die sie brauchen, nicht wirklich an. Angebote müssen niederschwellig sein und sich stärker am lokalen Bedarf orientieren: Begegnungsräume in Eltern-kind-zentren, Early Exellence Centre oder der Spielbus von Familienempowerment.
Stärkung Kinder- und Jugendanwaltschaft: vertagt
Ein von der FPÖ eingebrachter und von Grünen und SPÖ unterstützter Antrag zur Stärkung der Kinder- und Jugendanwaltschaft wurde von der ÖVP: vertagt. Fadenscheiniges Argument: es müssen juristische Abklärungen vorgenommen werden. Hintergrund: derzeit ist die Kinder- und Jugendanwaltschaft nicht dem Landtag zugeordnet (und damit diesem gegenüber berichtspflichtig), sondern der Regierung. Was für Landesvolksanwaltschaft und Rechnungshof gilt, muss auch für die Kinder- und Jugendanwaltschaft gelten: völlige Unabhängigkeit durch Zuordnung zum Landtag, Verankerung in der Landesverfassung.
Daher die klaren Forderungen an die Landesrätin:
- sofortige Aufstockung der Planstellen, um auf die gesteigerten Fallzahlen zu reagieren
- sofortige Umsetzung der Gehaltsreform, Übernahme in den Landesdienst rückwirkend mit 1.1.2011
- Ausbau ganztägiger Angebote in Kindergärten und Schulen mit Unterstützungsangeboten für Eltern und Kinder
- Stärkung der Kinder- und Jugendanwaltschaft als Organ des Landtages
rauch - 21. Apr, 10:46
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