Empörungsföderalismus
Eines der dümmsten aller möglichen politschen Spielchen ist "Zentralisten gegen Föderalisten". Besonders beliebt ist es bei Landeshauptleuten auf der einen und Bundesministern auf der anderen Seite. Die Debatte dazu heute im Vorarlberger Landtag hat von Seiten der ÖVP nichts neues gebracht: die Bösen sitzen in Wien (manchmal auch in Brüssel), die Guten (wenn nicht die Besten) sind wir. Ich sehe das so:
Österreich braucht Modellregionen. Regionen, die vormachen, dass Reformen, die allen Ecken und Enden der Republik notwendig sind, funktionieren. Zwei Beispiele:
Modell 1: Energieautonomes Vorarlberg
Bevor dieses Ziel salonfähig und einstimmig beschlossen wurde, gab es für diese Grüne Vorstellung bestenfalls mitleidiges Lächeln. Unmöglich, Spinnerei, so hieß es. Mittlerweile stehen fast alle dazu, bis auf ein paar Unverbesserliche Wirtschaftskämmerer. Um aber zu einer Region zu werden, die in allen Energie- und Klimaschutzfragen tatsächlich zukunftsfähig wird, müssten Maßnahmen gesetzt werden, die wesentlich ambitionierter sind als das, was derzeit entlang des „gerade Machbaren“ geplant wird. Ein paar neue Wasserkraftwerke und kraftlose Appelle ans Energiesparen werden nicht reichen. Wenn wir die Nase vorne haben wollen, dann muss Vorarlberg bei Energieautonomie und Klimaschutz werden, was gewisse Getränkehersteller im Blechdosenformat sind: Marktführer.
Dazu würden wir brauchen: Ein Ressort für Energie, Klimaschutz und Ressourceneffizienz samt einem Landesrat oder einer Landesrätin, die gewillt ist diese Marktführerschaft zu erringen, wenn es sein muss, zu erstreiten; ein Energie-Einsparprogramm, das aus 2% plus pro Jahr beim Stromverbrauch 2% minus macht; das Ziel, jedes Dach in Vorarlberg mit einer Sonnenstromanlage oder zumindest einem Sonnenkollektor für die Warmwasseraufbereitung auszustatten; die Reduzierung des motorisierten, bezingetriebenen Individualverkehrs um 30% bis 2050; einen verbindlichen Fahrplan zur Verankerung von Plusenergie- bzw. Energieautonomiehäusern im Baurecht; einen Fahrplan für „Minus 30% CO2 bis 2020“, das absolute Minimum, um 2°C plus einzuhalten.
Modell 2: Bioland Vorarlberg
Was für eine Chance! Ein Lebensmittelskandal nach dem anderen verunsichert Konsumentinnen und Konsumenten, fast ist man geneigt zu sagen: „Der Genuss von Lebensmitteln unbekannter Herkunft kann Ihre Gesundheit gefährden!“ Immer mehr zeigt sich: Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion stehen an einem Scheideweg: "Hauptsache billig!" führt geradewegs in den nächsten Lebensmittelskandal. Dem ist auch mit verschärften Kontrollen nicht wirklich beizukommen. Wer für mehr Gesundheit und Sicherheit auf dem Teller sorgen will, muss bei Produktion und Verarbeitung beginnen. Mehr denn je gilt für den Einkauf: regional, saisonal, biologisch. Wer so einkauft und isst, hat die größtmögliche Sicherheit sich gesund und vernünftig zu ernähren. Wobei "Bio" kein Dogma ist: was über tausende Kilometer mit Flugzeug oder LKW herangekarrt werden muss, mag zwar biologisch angebaut sein, verdient aber das Etikett "Bio" nicht mehr. In diesem Fall kommt "regional" vor "bio".
Trotzdem gilt: Vorarlberg muss die Chance dieser Dauerkrisen erkennen und für seine Landwirtschaft das Ziel "Bioland Vorarlberg" formulieren. Die "Energieautonomie" wurde lange als unmögliche grüne Spinnerei abgetan, jetzt wird daran gearbeitet. Dasselbe muss für "Bioland Vorarlberg" gelten: das geht nicht von heute auf morgen, aber das Ziel muss formuliert werden. Was heisst das: schrittweise Erhöhung des Anteils an Biolandwirtschaft; gezielte Förderung der Umstellung; Neuaufstellung der Landwirtschaftsförderung ("von groß zu klein, vom Tal zum Berg, von konventionell zu bio"); dort, wo es noch Gemeindegutshöfe gibt, Umstellung auf Biolandwirtschaft (so geschehen z.B. in Lustenau); einheitliche Marke statt "Marken-Dschungel"; komplette Gentechnikfreiheit bei Anbau UND Futtermitteln; bessere Auszeichnungspflicht bei Lebensmitteln;
Engere Verbindung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen herstellen. Lösungsvorschlag gleich dazu: zB durch gemeinschaftliche Lebensmittelproduktion von KonsumentInnen und ErzeugerInnen. Die meisten dieser Gemeinschaften arbeiten mit gesicherter Abnahme und Vorabfinanzierung der Produkte. So zahlen KonsumentInnen beispielsweise am Beginn des Jahres ihren Beitrag für die gesamten Produkte die sie über das Jahr von einem Bauernhof oder einer Betriebsgemeinschaft beziehen werden. Oder KonsumentInnen und BäuerInnen gründen eine Genossenschaft, um sich Betriebsrisiko und Produktionskosten zu teilen. Dafür müssen auch in Vorarlberg auf Landes- und Gemeindeebene Modelle entwickelt werden.
Und: wir brauchen (wieder) einen neuen Zugang zu Nahrungsmitteln, kochen und essen. Ich bin ein vehementer Verfechter von Schulküchen und Kochschulen; wer einkauft und isst (also alle Menschen...) muss auch Grundkenntnisse über Nahrungsmittel und Kochen haben. Das schafft Bewusstsein für Ernährung und macht den Unterschied zwischen "Nahrungsaufnahme per Fastfood" und "gut und vernünftig essen" deutlich. Kinder und Jugendliche sollten das an Schulen vermittelt bekommen, dann würden wir uns viel an Kosten für fehlernährte und übergewichtige Jugendliche ersparen...
Um es mit Bernd Marin zu formulieren: wenn Föderalismus einen Sinn hat, dann genau zu diesem Zweck: Bundesländer probieren aus und machen vor, wie es anders, besser, innovativer gehen könnte – und der Bund übernimmt die besten Modelle für ganz Österreich. Nur so kommt ein Staat, der kleiner ist als das deutsche Bundesland Baden-Württemberg überhaupt weiter. Und für Stillstand und Reformblockade in Österreich sind sie beide gleichermaßen verantwortlich, Zentralisten und Föderalisten, Bund und Länder, Bundesminister und Landeshauptleute. Ohne jede Ausnahme. Diesem kindischen Getue – und das ist das Fatale – wird die Zukunft geopfert.
Die ÖVP Vorarlberg mit ihrem "Empörungsföderalismus" mittendrin statt nur dabei.
Österreich braucht Modellregionen. Regionen, die vormachen, dass Reformen, die allen Ecken und Enden der Republik notwendig sind, funktionieren. Zwei Beispiele:
Modell 1: Energieautonomes Vorarlberg
Bevor dieses Ziel salonfähig und einstimmig beschlossen wurde, gab es für diese Grüne Vorstellung bestenfalls mitleidiges Lächeln. Unmöglich, Spinnerei, so hieß es. Mittlerweile stehen fast alle dazu, bis auf ein paar Unverbesserliche Wirtschaftskämmerer. Um aber zu einer Region zu werden, die in allen Energie- und Klimaschutzfragen tatsächlich zukunftsfähig wird, müssten Maßnahmen gesetzt werden, die wesentlich ambitionierter sind als das, was derzeit entlang des „gerade Machbaren“ geplant wird. Ein paar neue Wasserkraftwerke und kraftlose Appelle ans Energiesparen werden nicht reichen. Wenn wir die Nase vorne haben wollen, dann muss Vorarlberg bei Energieautonomie und Klimaschutz werden, was gewisse Getränkehersteller im Blechdosenformat sind: Marktführer.
Dazu würden wir brauchen: Ein Ressort für Energie, Klimaschutz und Ressourceneffizienz samt einem Landesrat oder einer Landesrätin, die gewillt ist diese Marktführerschaft zu erringen, wenn es sein muss, zu erstreiten; ein Energie-Einsparprogramm, das aus 2% plus pro Jahr beim Stromverbrauch 2% minus macht; das Ziel, jedes Dach in Vorarlberg mit einer Sonnenstromanlage oder zumindest einem Sonnenkollektor für die Warmwasseraufbereitung auszustatten; die Reduzierung des motorisierten, bezingetriebenen Individualverkehrs um 30% bis 2050; einen verbindlichen Fahrplan zur Verankerung von Plusenergie- bzw. Energieautonomiehäusern im Baurecht; einen Fahrplan für „Minus 30% CO2 bis 2020“, das absolute Minimum, um 2°C plus einzuhalten.
Modell 2: Bioland Vorarlberg
Was für eine Chance! Ein Lebensmittelskandal nach dem anderen verunsichert Konsumentinnen und Konsumenten, fast ist man geneigt zu sagen: „Der Genuss von Lebensmitteln unbekannter Herkunft kann Ihre Gesundheit gefährden!“ Immer mehr zeigt sich: Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion stehen an einem Scheideweg: "Hauptsache billig!" führt geradewegs in den nächsten Lebensmittelskandal. Dem ist auch mit verschärften Kontrollen nicht wirklich beizukommen. Wer für mehr Gesundheit und Sicherheit auf dem Teller sorgen will, muss bei Produktion und Verarbeitung beginnen. Mehr denn je gilt für den Einkauf: regional, saisonal, biologisch. Wer so einkauft und isst, hat die größtmögliche Sicherheit sich gesund und vernünftig zu ernähren. Wobei "Bio" kein Dogma ist: was über tausende Kilometer mit Flugzeug oder LKW herangekarrt werden muss, mag zwar biologisch angebaut sein, verdient aber das Etikett "Bio" nicht mehr. In diesem Fall kommt "regional" vor "bio".
Trotzdem gilt: Vorarlberg muss die Chance dieser Dauerkrisen erkennen und für seine Landwirtschaft das Ziel "Bioland Vorarlberg" formulieren. Die "Energieautonomie" wurde lange als unmögliche grüne Spinnerei abgetan, jetzt wird daran gearbeitet. Dasselbe muss für "Bioland Vorarlberg" gelten: das geht nicht von heute auf morgen, aber das Ziel muss formuliert werden. Was heisst das: schrittweise Erhöhung des Anteils an Biolandwirtschaft; gezielte Förderung der Umstellung; Neuaufstellung der Landwirtschaftsförderung ("von groß zu klein, vom Tal zum Berg, von konventionell zu bio"); dort, wo es noch Gemeindegutshöfe gibt, Umstellung auf Biolandwirtschaft (so geschehen z.B. in Lustenau); einheitliche Marke statt "Marken-Dschungel"; komplette Gentechnikfreiheit bei Anbau UND Futtermitteln; bessere Auszeichnungspflicht bei Lebensmitteln;
Engere Verbindung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen herstellen. Lösungsvorschlag gleich dazu: zB durch gemeinschaftliche Lebensmittelproduktion von KonsumentInnen und ErzeugerInnen. Die meisten dieser Gemeinschaften arbeiten mit gesicherter Abnahme und Vorabfinanzierung der Produkte. So zahlen KonsumentInnen beispielsweise am Beginn des Jahres ihren Beitrag für die gesamten Produkte die sie über das Jahr von einem Bauernhof oder einer Betriebsgemeinschaft beziehen werden. Oder KonsumentInnen und BäuerInnen gründen eine Genossenschaft, um sich Betriebsrisiko und Produktionskosten zu teilen. Dafür müssen auch in Vorarlberg auf Landes- und Gemeindeebene Modelle entwickelt werden.
Und: wir brauchen (wieder) einen neuen Zugang zu Nahrungsmitteln, kochen und essen. Ich bin ein vehementer Verfechter von Schulküchen und Kochschulen; wer einkauft und isst (also alle Menschen...) muss auch Grundkenntnisse über Nahrungsmittel und Kochen haben. Das schafft Bewusstsein für Ernährung und macht den Unterschied zwischen "Nahrungsaufnahme per Fastfood" und "gut und vernünftig essen" deutlich. Kinder und Jugendliche sollten das an Schulen vermittelt bekommen, dann würden wir uns viel an Kosten für fehlernährte und übergewichtige Jugendliche ersparen...
Um es mit Bernd Marin zu formulieren: wenn Föderalismus einen Sinn hat, dann genau zu diesem Zweck: Bundesländer probieren aus und machen vor, wie es anders, besser, innovativer gehen könnte – und der Bund übernimmt die besten Modelle für ganz Österreich. Nur so kommt ein Staat, der kleiner ist als das deutsche Bundesland Baden-Württemberg überhaupt weiter. Und für Stillstand und Reformblockade in Österreich sind sie beide gleichermaßen verantwortlich, Zentralisten und Föderalisten, Bund und Länder, Bundesminister und Landeshauptleute. Ohne jede Ausnahme. Diesem kindischen Getue – und das ist das Fatale – wird die Zukunft geopfert.
Die ÖVP Vorarlberg mit ihrem "Empörungsföderalismus" mittendrin statt nur dabei.
rauch - 8. Jun, 16:03
(repost von Michael Miersch) (Gast) - 11. Jun, 07:57
Biologisch Reine Sprache
Dass es beim GAU in Japan null Tote gab, Sprossen aus einer vegetarischen Bio-Gärtnerei in Bienenbüttel aber inzwischen über 30 Menschen umbrachten, bereitet unserer Medienelite offenbar heftige Kopfschmerzen. Gönnen Sie sich mal den Spaß und durchkämmen aktuelle Artikel unserer Qualitätsmedien mit Hilfe der Suchfunktion auf das Wort „Bio“.
Zum Beispiel diesen:
http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/verdauung/ehec/ehec-erreger-freispruch-aus-mangel-an-beweisen_aid_636137.html
Oder diesen:
http://www.sueddeutsche.de/wissen/ehec-epidemie-in-deutschland-das-erfolgsrezept-der-ehec-jaeger-1.1107368
Oder diesen:
http://www.welt.de/vermischtes/article13424325/Fahnder-finden-Seuchenherd-mithilfe-von-Fotos.html
Seltsam das Wort taucht nicht auf. Dafür so schöne Begriffe wie „Gemüsehof“ oder „Betrieb“, mit denen der Infektionsherd umschrieben wird.
Ich kann mich an keinen Artikel erinnern, in denen Fukushima-Daiichi als „Kraftwerk“ oder „Energiebetrieb“ bezeichnet worden wäre. Das Wörtchen “Atom” war immer dabei.
Zum Beispiel diesen:
http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/verdauung/ehec/ehec-erreger-freispruch-aus-mangel-an-beweisen_aid_636137.html
Oder diesen:
http://www.sueddeutsche.de/wissen/ehec-epidemie-in-deutschland-das-erfolgsrezept-der-ehec-jaeger-1.1107368
Oder diesen:
http://www.welt.de/vermischtes/article13424325/Fahnder-finden-Seuchenherd-mithilfe-von-Fotos.html
Seltsam das Wort taucht nicht auf. Dafür so schöne Begriffe wie „Gemüsehof“ oder „Betrieb“, mit denen der Infektionsherd umschrieben wird.
Ich kann mich an keinen Artikel erinnern, in denen Fukushima-Daiichi als „Kraftwerk“ oder „Energiebetrieb“ bezeichnet worden wäre. Das Wörtchen “Atom” war immer dabei.
Sascha Schmidt (Gast) - 21. Jun, 15:25
ich glaube,
dass eben das "gerade Machbare" dort schon endet wo das zumindest "gerade Machbare" beginnen könnte und wer für mehr Gesundheit und Sicherheit auf dem Teller haben will, aus Sicht des Konsumenten, mir also, muss dann aber auch soweit die Möglichkeit haben und bekommen, sich diese Sicherheit und Gesundheit leisten zu können. Auch wenn der Zugang dafür besteht oder besser gesagt das Angebot, muss die Möglichkeit haben sich das zu leisten. Leistbare Gesundheit und Sicherheit auf dem Teller würde ein Umdenken fördern und die Krux der Undurchsichtikeit an Angeboten und deren Lügen muss dem Konsumenten verständlich und vor allem ersichtlich gemacht werden. Förderung muss sich bis zum Teller der KonsumentInnen durch ringen.
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